Region Mopti, Sévaré, Lager für Binnenflüchtlinge. Junge Mädchen zerstampfen Hirse. Fotograf : CATTANI, Michele Copyright : IKRK

Sahel: Verschlimmerung der mageren Jahreszeit infolge der durch den Konflikt befeuerten Nahrungsmittelkrise

Sahel (IKRK) – Über 10,5 Mio. Menschen in Burkina Faso, Mali, Niger und Mauretanien laufen Gefahr, in der bevorstehenden mageren landwirtschaftlichen Jahreszeit – der Zeit zwischen den Ernten, in der die Nahrungsmittelvorräte besonders gering sind – Hunger zu leiden, da der Konflikt die anhaltende Nahrungsmittelkrise verschlimmert.
News release 12. Mai 2022 Sahel Burkina Faso Mali Niger

In den vier Ländern wurden mindestens zwei Millionen Menschen aufgrund des Konflikts vertrieben, 70 % von ihnen in Burkina Faso, wo die unsichere Lage fast 10 % der Bevölkerung, d.h. 1,8 Millionen Menschen, ihre Heimat auf der Suche nach Sicherheit verlassen mussten. [1]

Wenn sich die Menschen in einer instabilen Situation befinden und gezwungen sind, wegzugehen, werden sie besonders anfällig. Sie haben keinen Zugang mehr zu ihrem Land, um es zu bewirtschaften, und es sind ganze Dorfgemeinschaften, die von Hilfsgütern, vor allem Nahrungsmittel und Wasser, abhängig werden, um zu überleben.

Die Situation ist für Millionen Menschen an Orten in der gesamten Region, die aufgrund der unsicheren Lage für Hilfsorganisationen nicht zugänglich sind, besonders beunruhigend. Manche Bevölkerungsgruppen, vor allem in den Orten Pama, Mansila, Kelbo, Madjoari und Djibo in Burkina Faso, stehen vor einer dramatischen Situation. Sie sind an zunehmend knapper werdenden Orten eingepfercht und ausserstande zu fliehen; diese Situation verursacht eine ganz eigene, nicht zu vernachlässigende Nahrungsmittelkrise.

„Die Gewalt im Sahel befeuert nicht nur die bestehende Nahrungsmittelkrise, an vielen Orten stiftet sie eine solche auch an. Die Situation ist kritisch und die magere Jahreszeit könnte eine Katastrophe heraufbeschwören, wenn keine gemeinsamen Anstrengungen unternommen werden, um den Millionen Betroffenen zu helfen", erklärte Patrick Youssef, IKRK-Regionaldirektor Afrika.

Die Region kämpft mit den negativen Folgen des Klimawandels und wird nun auch von der schwersten Dürre seit Jahrzehnten heimgesucht. Der rekordverdächtige Regenmangel – vergleichbar mit einer der schweren Dürreperioden aus dem Jahr 2011 mit Tausenden Toten – hat einen deutlichen Rückgang der pflanzlichen Produktion verursacht.

Im Niger und in Mauretanien wurden 40 % weniger Nahrungsmittel produziert als im Fünfjahresschnitt, während der Rückgang in Mali 15 % und in Burkina Faso 10 % betrug [2]. Die Produktion von Biomasse in Mauretanien ist um bis zu 80 % zurückgegangen, insbesondere in den von Buschfeuern und Dürren betroffenen Gegenden.

Konflikt als Hauptgrund für Nahrungsmittelunsicherheit

Über 80 % der Menschen im Sahel leben von der Landwirtschaft [3]. Wenn eine Region von Gewalt überschattet wird, müssen die Menschen oftmals fliehen, sodass nicht mehr gepflanzt, gezüchtet oder geerntet werden kann, was wiederum ganze Dorfgemeinschaften der Gefahr aussetzt, Hunger zu leiden oder gar von einer Hungersnot heimgesucht zu werden.

In der Region Liptako-Gourma im malischen Dreiländereck zu Burkina Faso und Niger sind 80 % der Anbauflächen in über 100 Dörfern verloren gegangen, da Ernten zerstört und die Menschen zur Flucht gezwungen wurden. Die Nacherntekontrollen in den Provinzen Yatenga und Loroum in Burkina Faso haben Ernteausfälle von bis zu 90 % gezeigt [4].

In den nördlichen Regionen von Burkina Faso sind zwischen 30 % und 50 % des kultivierten Landes aufgrund der unsicheren Situation verloren gegangen, während in den nigerischen Regionen Tilaberi und Tahoua Hunderttausende Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubt wurden, nachdem der Zugang zu Anbauflächen aufgrund der Androhung von Gewalt unmöglich geworden ist und ganze Dorfgemeinschaften innerhalb der Landesgrenzen vertrieben wurden.

Verschlimmerung aufgrund fehlendem Zugang zu Wasser

In Burkina Faso besteht auf nationaler Ebene eine Wasserkrise. In bestimmten, vom Konflikt betroffenen Regionen wurden Wasserstellen zerstört, während an anderen Orten die Verschlechterung der Wasserinfrastruktur schwerwiegende Auswirkungen auf den Alltag der Menschen hat.

„An manchen Orten in Burkina Faso stehen die Menschen 72 Stunden an, um Zugang zu Bohrlöchern zu bekommen. Ihr Leben dreht sich ausschliesslich um den Zugang zu Wasser. Sollte sich die Situation weiter verschlimmern, stehen wir vor der realen Möglichkeit, dass Menschen und Tiere verdursten", so Patrick Youssef weiter.

Gewalt und Konflikt haben auch die traditionellen Transhumanzrouten unterbrochen – eine rund um die Migration des Viehs organisierte Art des Pastoralismus bzw. Nomadentums. Mauretanische Viehzüchter ziehen auf der Suche nach Weideland und Wasser normalerweise bis nach Mali. Die Gewalt macht diese traditionellen Routen unzugänglich und bedeutet ein grosses Risiko für das Vieh und die Lebensgrundlagen.

Suche nach innovativen Lösungen

Das Schicksal Hunderttausender Menschen im Sahel, zu denen das IKRK und andere Hilfsorganisationen aufgrund der unsicheren Lage keinen Zugang haben, ist besorgniserregend. „Die Hilfen müssen alle Menschen in Not erreichen und auf eine Art bereitgestellt werden, die zu einer Reduzierung statt zu einer Verschärfung der Spannungen führt. Humanitäre Organisationen müssen frei und sicher in diesem Umfeld tätig werden können", sagte Patrick Youssef.

Zusammen mit der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung weitet das IKRK seinen Einsatz in der Region aus, um den besonders bedürftigen Menschen zu helfen. Die Organisation bemüht sich auch um längerfristige Lösungen, mit denen der Bevölkerung geholfen werden kann, sich anzupassen und widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel und den Folgen lang andauernder Konflikte zu werden.

Im Rahmen der 15. Sitzung der Konferenz der Vertragsparteien der Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung (COP15) am 12. Mai 2022 in Abidjan organisiert das IKRK zusammen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank eine Nebenveranstaltung zu Massnahmen zur Überwindung des Teufelskreises der Nahrungsmittelunsicherheit in Afrika.

„Es ist unabdingbar, auf die Krise zu reagieren, und es greift zu kurz, nur an Nothilfe zu denken, denn diese macht die Menschen abhängig von humanitärer Hilfe und das Leid der Menschen wird sich nur ständig wiederholen", so Partick Youssef.

„Akteure der Entwicklungszusammenarbeit, Regierungen und humanitäre Organisationen müssen zusammenkommen und neue, innovative Lösungen zur Stärkung der bestehenden Systeme finden sowie Instrumente bereitstellen, um die Abhängigkeit der Menschen von Hilfsleistungen zu überwinden."

 

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:

Halimatou Amadou, IKRK Dakar, Tel: +221 78 186 46 87
Tarek Wheibi, IKRK Niamey, Tel: +227 828 112 71

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